Künstler*Innen

Bugatti, Chiara

Rehearsing Brutality, until it is totally destroyed, 2020
(c) Chiara Bugatti. Choreography in collaboration with Alessandro Giaquinto, Stuttgarter Ballett

Marmor und Kieselgur entstehen, wenn Muschelschalen, Algen und andere Überbleibsel toter Organismen – Geschöpfe, die die Erde lange vor den Menschen bewohnt haben – begraben werden und sich tief in den älteren Erdschichten ansammeln. Langsame natürliche Prozesse und kaum spürbare Vibrationen verwandeln Materie in Material, funktionelle Ressourcen für die
Entwicklung der menschlichen Spezies.
Neben seiner vielfältigen industriellen Nutzung ist Carrara-Marmor aufgrund seiner Verwendung für monumentale Kunst und Architektur bekannt. Auch Chiara Bugatti widmet sich diesem Material seit Langem in ihren Untersuchungen. Die Künstlerin erforscht Themen wie Monumentalität, Macht und Besitz, aber auch Koexistenz und Verantwortung. Ihr Blick wandert dabei vom Gesamtbild zu dessen materieller Substanz, zu Gesten und systemischen Verhältnissen. In ihrer skulpturalen Arbeit Study for a Monument I zeigt sie Marmor in seiner verletzlichsten Form, einer kleinen runden Gallertmasse, die dazu verdammt ist, sich vor unseren Augen zu zersetzen.
Die fortlaufende Reihe Rehearsing Brutality, until it is totally destroyed fokussiert sich auf Kieselgur. Dieses Material ist das Ergebnis Jahrmillionen langer Sedimentierung von Diatomeen, einer großen Familie einzelliger Algen, die heute einen erheblichen Anteil des auf dem Planeten verfügbaren Sauerstoffs produzieren.
Dieser uralte und fragile Pulverstein ist hier zu scheinbar festen Kuben geformt. Angeordnet in einer Raumstruktur mit bewegbaren Wandelementen, wird der prekäre Ruhezustand der Güsse wiederholt von einer Gruppe klassischer BalletttänzerInnen unterbrochen, die Posen und Gesten historischer Denkmäler proben, welche Menschen (üblicherweise männliche Körper) als unbesiegbare und heroische Figuren zeigen. Vibrationen dienen hier als Medium, Körper in eine wortwörtliche Beziehung mit dem Material zu bringen. Als Ergebnis der kontrollierten Bewegungen der TänzerInnen – gemeinsam mit zufälligen Bewegungen des Publikums – erleben die Kuben Schwingungen, die ihr Zerreißen und schließlich ihren Zusammenbruch hervorrufen.
Es überrascht nicht, dass menschliche Aktivität – sei es durch Industrie oder Verkehr – in seismografischen Tiefen entdeckt werden kann. Eine Studie hat jüngst gezeigt, wie stark weltweite Lockdowns (im Rahmen der Covid-19-Pandemie) das seismografische Grundrauschen anthropogenen Ursprungs reduziert haben. So konnten WissenschaftlerInnen in urbanen Gegenden natürliche Signale aufzeichnen, die sonst von menschlichen Signalen übertönt werden.
Indem Bugatti ihre Forschungsobjekte mit Feingefühl neu skaliert, verdeutlicht sie, dass Menschen irdische Wesen sind, die in der sie umgebenden materiellen Umwelt lokal verankert und tief in sie verwickelt sind. Ihr Blick konzentriert sich auf unsere Präsenz auf der Erde; er be- und hinterfragt die Auswirkungen unserer großen und kleinsten Aktivitäten.

Text: Sebastian Schneider

Marmor und Kieselgur entstehen, wenn Muschelschalen, Algen und andere Überbleibsel toter Organismen – Geschöpfe, die die Erde lange vor den Menschen bewohnt haben – begraben werden und sich tief in den älteren Erdschichten ansammeln. Langsame natürliche Prozesse und kaum spürbare Vibrationen verwandeln Materie in Material, funktionelle Ressourcen für die
Entwicklung der menschlichen Spezies.
Neben seiner vielfältigen industriellen Nutzung ist Carrara-Marmor aufgrund seiner Verwendung für monumentale Kunst und Architektur bekannt. Auch Chiara Bugatti widmet sich diesem Material seit Langem in ihren Untersuchungen. Die Künstlerin erforscht Themen wie Monumentalität, Macht und Besitz, aber auch Koexistenz und Verantwortung. Ihr Blick wandert dabei vom Gesamtbild zu dessen materieller Substanz, zu Gesten und systemischen Verhältnissen. In ihrer skulpturalen Arbeit Study for a Monument I zeigt sie Marmor in seiner verletzlichsten Form, einer kleinen runden Gallertmasse, die dazu verdammt ist, sich vor unseren Augen zu zersetzen.
Die fortlaufende Reihe Rehearsing Brutality, until it is totally destroyed fokussiert sich auf Kieselgur. Dieses Material ist das Ergebnis Jahrmillionen langer Sedimentierung von Diatomeen, einer großen Familie einzelliger Algen, die heute einen erheblichen Anteil des auf dem Planeten verfügbaren Sauerstoffs produzieren.
Dieser uralte und fragile Pulverstein ist hier zu scheinbar festen Kuben geformt. Angeordnet in einer Raumstruktur mit bewegbaren Wandelementen, wird der prekäre Ruhezustand der Güsse wiederholt von einer Gruppe klassischer BalletttänzerInnen unterbrochen, die Posen und Gesten historischer Denkmäler proben, welche Menschen (üblicherweise männliche Körper) als unbesiegbare und heroische Figuren zeigen. Vibrationen dienen hier als Medium, Körper in eine wortwörtliche Beziehung mit dem Material zu bringen. Als Ergebnis der kontrollierten Bewegungen der TänzerInnen – gemeinsam mit zufälligen Bewegungen des Publikums – erleben die Kuben Schwingungen, die ihr Zerreißen und schließlich ihren Zusammenbruch hervorrufen.
Es überrascht nicht, dass menschliche Aktivität – sei es durch Industrie oder Verkehr – in seismografischen Tiefen entdeckt werden kann. Eine Studie hat jüngst gezeigt, wie stark weltweite Lockdowns (im Rahmen der Covid-19-Pandemie) das seismografische Grundrauschen anthropogenen Ursprungs reduziert haben. So konnten WissenschaftlerInnen in urbanen Gegenden natürliche Signale aufzeichnen, die sonst von menschlichen Signalen übertönt werden.
Indem Bugatti ihre Forschungsobjekte mit Feingefühl neu skaliert, verdeutlicht sie, dass Menschen irdische Wesen sind, die in der sie umgebenden materiellen Umwelt lokal verankert und tief in sie verwickelt sind. Ihr Blick konzentriert sich auf unsere Präsenz auf der Erde; er be- und hinterfragt die Auswirkungen unserer großen und kleinsten Aktivitäten.

Text: Sebastian Schneider

Rehearsing Brutality, until it is totally destroyed, 2020
(c) Chiara Bugatti. Choreography in collaboration with Alessandro Giaquinto, Stuttgarter Ballett